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Mont-Saint-MichelDonnerstag Abend, den 5. Juni 2009, versammelte sich an der St. Kunigunde in Uttenreuth ein munterer Haufen von 22 Jugendlichen, bereit, acht Tage lang Frankreich unsicher zu machen. In ihrem Gepäck befanden sich größere Mengen Lebkuchen vom “Berch”, Haribotüten, Meerrettich und anderes in Deutschland oder der Gegend Typisches für die Gastfamilien. Doch bis wir die sahen, sollten wir uns noch eine Weile in Geduld üben.

Die ganze Nacht hindurch fuhren wir also. Die durchschnittliche Schlafdauer in Stunden ließ sich - mindestens gefühlsmäßig - an einer Hand abzählen. Doch am Morgen wurden wir für unsere Opferbereitschaft mit frischen Croissants, heißer Schokolade und Bonne-Maman-Marmelade reich belohnt. So gestärkt, ging es weiter Richtung Mont-Saint-Michel, und mir graute ein wenig vor der folgenden Besichtigung, da es für mich das fünfte mal gewesen wäre, dass ich das wohl beliebteste Touristenziel der Bretagne hätte bewundern dürfen. Positiv überrascht stellte ich fest, dass es sich stattdessen ausschließlich um eine Wattwanderung um die kleine Klosterinsel handelte.
Mit klatschnassen Hosen, aber dennoch voller Begeisterung suchten wir nach Muscheln und Wattwürmern und ließen uns vorsichtig vom Treibsand verschlucken.
Anschließend bauten wir am Campingplatz unsere Zelte auf für unsere erste Nacht in Frankreich.
Wer am nächsten Morgen seine Augen nach zwei fast schlaflosen Nächten noch weit genug aufbekam, durfte sich zwischen Klettern und Bogenschießen entscheiden. Für mich, die letzteres wählte, war es durchaus interessant zu sehen, welches angestrebte Ziel zu welchem tatsächlichen Punkt auf der Zielscheibe führte.
Nach Besichtigung einer Muschelzucht lernten wir dann auch unsere Gastfamillien kennen. In meinem Fall, muss ich sagen, ein absoluter Glücksgriff. Der Vater erzählte mir an diesem Abend von seiner Zeit beim Militär im frankophonen Afrika, wo ich nach dem Abitur selber vielleicht hin möchte. Auch mit der restlichen Familie fühlte ich mich stark auf einer Wellenlänge und – wer hätte das ahnen können – hatte nach vier recht miserablen Jahren Schulfranzösisch trotzdem nur wenige Verständigungsprobleme (mit der Bereitschaft zu Gebärdensprache und vollem Körpereinsatz ist Völkerverständigung eigentlich gar nicht so schwer...).
Anschließend durfte ich in ein echtes Bett, mit gemütlicher Matratze und unfassbaren 50 cm zu jeder Seite, über die ich allein und frei verfügte. Wie man da reinkommt, ist mir aber auch nach sechs Tagen Übung noch ein Rätsel. Denn das französische Bett vergräbt seine Decke links und rechts tief unter seiner Matratze, so dass der Einstieg nur mit Baucheinziehen durch den dünnen Schlitz am Kopfende möglich ist – immer begleitet von dem nachsichtigen Lächeln meiner Austauschpartnerin.
Es folgte Muttertag. Der mag, abgesehen von einem Blumenstrauß am Bett der Mutter, nach nichts besonderem klingen. In Frankreich ist es anders. Morgens brachen wir zu den Großeltern auf, die uns gleich mit einem Teller Melonen begrüßten. Ich war vorgewarnt und hielt es darum glücklicherweise nicht für das einzige Essen dieses Tages – im Gegensatz zu einer Freundin, die die Melonenscheiben ihrer Familie in großen Mengen vertilgte, um dann von den folgenden (zahlreichen!) Gängen erschlagen zu werden. So folgte auch bei mir noch gemischtes Gemüse, Tomaten, Käse, ein Hühnchen, Pudding, Kuchen, diverse Früchte und eine Auswahl an Knabbereien.
Das Essen zog sich bis in den Nachmittag, was Louna, dem fast zweijährigen Nesthäkchen der Großfamilie, recht langweilig erschien. Mit gerunzelter Stirn wandelte sie von einem zum anderen, nuckelte am Schnuller und forderte mit ungeduldigen Blicken nach Beschäftigung. Die Familie kannte das französische Pendant zu Hoppe-Hoppe-Reiter zwar, konnte es aber nicht auswendig. Louna zeigte sich auch für die deutsche Fassung mit einem strahlenden Lächeln erkenntlich. Später, bei einem Ausflug zum Flohmarkt, brachte ich meiner Austauschpartnerin „Engelchen, Engelchen, flieg!“ bei, was in Frankreich anscheinend gänzlich unbekannt ist, von Louna aber sofort tolerant adaptiert wurde.
Am nächsten Tag besichtigten wir Saint Malo in einem überdachten Boot. Dass es überdacht war, war für uns eine zu erwähnende Erleichterung, da es (wie öfters in dieser Woche) in Strömen regnete. Nach Geschichten über dort lebende französische Freibeuter, die der Stadt Reichtum brachten und sie gleichzeitig zu einem erbitterten Feind für England und andere Seevölker machte, kehrten wir in die Gegenwart zurück und durchshoppten die dortigen Läden. Spät am Abend besichtigten wir noch Ouest-France, die größte Französische Tageszeitung, und wurden über ihre Produktion aufgeklärt.
Morgens, am Tag fünf seit unserer Ankunft, fragte meine Gastmutter mich, ob ich noch eine Joghurt in meinem heutigen Picknickbeutel haben möchte. Wie üblich war der Picknickbeutel bereits üppig gefüllt, aber der Becher lächelte mich an... wir besuchten eine Molkerei, und nach der großzügigen Verteilung von Sojaprodukten wurde die mitgegebene meine fünfte Joghurt an diesem Tag.
Gegen Mittag fuhren wir dann Kanu oder wahlweise Kajak. Eine Freundin und ich ruderten in einem der Kanus. Ich fand es wirklich schön. Wir spotteten etwas über die Kajakfahrer, die mit jeder Welle Wasser ins Boot bekamen, während wir schnell und trocken an ihnen vorbei fuhren. Bis es anfing zu regnen. Anfangs ein leichter, angenehmer Nieselregen, dann fielen immer größere Tropfen, schließlich fielen die Wolken als ein solides Ganzes auf unsere Boote. Wir kehrten um, doch bis wir am Bootshaus angekommen waren, waren wir längst ausgekühlt und klitschnass.
Wieder in trockener Kleidung fanden wir uns abends im Jugendzentrum wieder, grillend und Volleyball, Fußball, Tischtennis oder auch Poker spielend.
Am letzten Tag besuchten wir die Collèges (etwa Mittelstufe) oder Lycées (etwa Oberstufe) unserer Austauschpartner. Während ich bei meinem ersten Frankreichaustausch prompt in eine Doppelstunde Sexualkundeunterricht geraten war, bestand der Unterricht hier für mich nur aus einer recht normalen Deutschstunde. Weil es kurz vor der Ferien war, spielte die Lehrerin mit uns Galgenmännchen. Da ich meiner Austauschpartnerin erst am Vorabend das deutsche Wort „Streichholzschächtelchen“ beigebracht hatte – ein Albtraum der Aussprache für jeden Franzosen – überredete ich sie, das Wort als nächstes dranzubringen. Nach Unterrichtsschluss besichtigten wir Rennes, was für uns hauptsächlich wieder Shoppen bedeutete. Für meine Familie konnte ich dank dieser Zeit tolle französische Errungenschaften mitbringen, wie Pain au Chocolat, Madelaines, und – nicht zu vergessen – französisches Klopapier, das dort neben den gewöhnlichen Rollen, auch in kleinen Kästen verkauft wird, ähnlich wie Kosmetiktücher.
Für den letzten Abend trafen sich alle zu einem bretonischen Abend zusammen, mit französischem Essen und bretonischer Musik. Und dann ging es nach Hause. Früh am nächsten Morgen, um sieben Uhr, standen wir bei unserem Bus, verabschiedeten uns ein wenig traurig von unseren Gastfamilien und wünschten uns alles Gute bis zum nächsten Jahr, wenn der Rückbesuch stattfindet.